Marcus und Annilio - Kapitel 2

Prien

Ein Ausflug auf dem See

Der Sommer beschert der Gegend in diesem Jahr sehr heiße Tage. Annilio hat von Marcus erfahren, dass er schon öfter auf dem See Rudern war. Das will sie auch! Jedes Mal, wenn die Kinder sich treffen, versucht sie Marcus zu überreden, mit ihr rudern zu gehen. Endlich lässt er sich erweichen. An einem schönen Sommermorgen machen sie sich auf den Weg zu einer Bucht, die am westlichen Seeufer gegenüber der großen Insel liegt. Dort haben einige Fischer ihre Einbäume liegen. Mit einem kleinen Fuhrwerk, das von einem Knecht gelenkt und von einem kräftigen Pferdchen gezogen wird, ziehen sie los. Schon von weitem sehen sie, dass einige Boote auf dem See sind.

„Die Fischer werden bald an Land kommen, dann besorge ich uns einen Einbaum. Der Fischer, mit dem Vater immer Geschäfte macht, hat sein Boot schon meinem Vater geliehen. Wenn ich ihm sage, dass ich Marcus, Sohn des Caius Terentius Praesentinus bin, dann wird er mir den schon geben.“ Insgeheim ist sich Marcus gar nicht so sicher, aber das will er Annilio nicht verraten. Dann fällt ihm etwas sehr Wichtiges ein. „Kannst du überhaupt richtig schwimmen?“ Sorgenvoll schaut er das Mädchen an und ist sehr erleichtert, als es nickt.

„Mein Bruder Ario hat mir das Schwimmen beigebracht, Vater meint, hier müsse jeder schwimmen können. Und du?”

„Na klar,“ sagt Marcus mit einem Schulterzucken, „hat mir mein Onkel Lucius Terentius Verinus gelernt. Onkel Lucius wohnt am Meer. Einmal hat mich mein Vater auf die lange Reise über die Berge mitgenommen.”

Annilio schweigt beeindruckt. Als die Kinder die Bucht erreichen, zieht ein Fischer gerade seinen Einbaum an Land.

„Guten Morgen”, spricht ihn Marcus an und versucht, erwachsen und männlich auszusehen.

„Guten Morgen, mein Herr,“ antwortet der Fischer.

„Du kennst mich?”, fragt Marcus.

„Ja mein Herr”, antwortete der Fischer, „Ihr seid Marcus, Sohn des Caius Terentius Praesentinus aus dem nahen BERUNUM.”

„Ja, genau, und wir wollen deinen Einbaum ausleihen“, sagt Marcus.

„Könnt Ihr überhaupt damit umgehen?” Der Fischer runzelt die Stirn

„Natürlich”, grinst Annilio. Der Fischer blickt verdutzt auf das rothaarige vorlaute Mädchen. Doch nachdem der Knecht dem Fischer ein paar kleine Münzen in die Hand gedrückt hat, hilft er den Kindern, das Boot ins Wasser zu schieben. Zwei geschwungene Paddel liegen im Inneren des Einbaums.

Marcus hatte einen Sack mitgenommen. „Schau” sagte er, „da ist ein Netz und eine Schnur mit Angelhaken und ein paar Ködern drin.” Annilio kniet sich in den Bug, Marcus muss mit dem hinteren Platz vorliebnehmen.

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„Los geht’s“, juchzt Annilio und lenkt in Richtung des Schilfgürtels, der sich entlang der Bucht zieht. „Dort gibt es die größten Fische.“

„Wenn du meinst”, brummt Marcus hinter ihr, „dann probieren wir unser Glück.” Es ist gar nicht so einfach, in dem wackligen Boot das Gleichgewicht zu halten. Auch dauert es eine ganze Weile, bis die beiden einen gemeinsamen Rhythmus finden und einigermaßen gerade fahren.

„Ist unser Land nicht wunderschön”, strahlt Annilio und zeigte auf die Berge vor ihnen.

„Hier ist es schon besonders schön”, stimmt Marcus zu, „am Meer, bei meinem Onkel, da gefällt es mir auch gut, aber hier ist es noch schöner.“

Die Kinder schauen noch eine ganze Weile Richtung Berge. Annilio zeigt auf die Berggipfel und flüstert mit Ehrfurcht in der Stimme die Namen der Berge.

Plötzlich fällt Marcus ein, dass er ja fischen wollte. Er kramte in seinem Sack und holte eine lange Schnur mit Haken und eine Holzdose mit weißen Maden heraus. Annilio beobachtet angeekelt, wie er eine der Maden auf den Haken steckt.

„Wie die zuckt, schau mal.“ Sie schüttelt sich.

Markus holt aus und schleudert den Haken in das Wasser nahe dem Schilf. „So, jetzt heißt es warten”, sagt er leise. Annilio nickt. Gespannt schauten sie ins Wasser. Plötzlich ruckt die Schnur und Marcus muss sie festhalten, damit sie ihm nicht aus der Hand gerissen wird. Langsam wickelt er die Schnur auf. Annilio schaute gebannt ins Wasser. Endlich ist der Fisch zu sehen. Eine kleine Renke hatte angebissen. Marcus zieht sie aus dem Wasser und wirft sie in einen Flechtkorb, den der Fischer für die Kinder im Einbaum gelassen hat.

„Nicht schlecht”, nickt Annilio. Jetzt ist sie dran, aber sie angelt nicht mit den ekeligen Maden, sie nimmt lieber das Netz. An dem Netz sind Gewichte befestigt, damit es im Wasser nach unten sinkt. Annilio holte Schwung und wirft das Netz aus. Das Seil zum Einholen des Netzes hält sie konzentriert fest. Langsam sammeln sich im Wasser ein paar kleine Fische über dem Netz. Marcus macht Annilio Zeichen, dass sie das Netz herausziehen soll, aber sie schüttelt den Kopf. Sie wartet, bis sich ein paar größere Fische zeigen und zieht dann mit einem Ruck an der Leine. Das Netz zieht sich zu. „Hab‘ euch“, ruft sie und holt das Netz mit zwei Fischen ins Boot, mit einem Karpfen und einem jungen Hecht. „Na”, schaut sie zu Marcus hinüber, „auch nicht schlecht, oder?”

Marcus nickt anerkennend. Sein Vater sagt, dass die keltischen Männer geschickte Jäger und Fischer seien. Annilio ist zwar ein Mädchen, aber sie ist auch nicht schlecht. Sie kann richtig gut fischen. Seine Schwester Claudia wäre wahrscheinlich schon ein paarmal ins Wasser gefallen.

Die Sonne steht hoch am Himmel, als sich die Kinder auf den Heimweg machen. Annilio gibt ein schnelles Tempo vor, Marcus kommt kaum mit dem Rudern nach. Nahe einer Flussmündung zeigt Annilio auf Holzstämme und Schilfgeflechte. „Schau”, sagt sie zu Marcus, „so fischen meine Leute, wir bauen Reusen. Die Fische schwimmen in die immer enger werdenden Röhren und kommen nicht mehr hinaus. Wir brauchen dann nur noch das Netz zu leeren.”

Am Ufer angekommen, springen die Kinder in das flache Wasser. Der Fischer ist sichtlich erleichtert, die Kinder wohlbehalten zurück zu sehen und zieht seinen Einbaum an Land. Der Knecht schläft unter dem Fuhrwerk, das Pferdchen ist angepflockt und grast. Die Kinder wecken den Mann, indem sie ihm einen Fisch unter die Nase halten. Bei dem intensiven Fischgeruch ist er sofort wach. „Na, da wart ihr ja richtig erfolgreich,“ beglückwünscht er die Beiden.

Auf der Heimfahrt überlegt Marcus, was er mit seinen Fischen anfängt „Ich gebe die Fische unserem Koch. Er soll einen Auflauf mit der leckeren Fischsoße Garum machen, die mein Vater immer aus IUVAVUM mitbringt.“

„Ich will meine Fische auf einen Holzspieß stecken und über dem Feuer braten”, plant Annilio. Das wird Marcus auch einmal ausprobieren. Denn wie es sich für einen Römer aus guter Familie gehört, isst er Fisch sehr gerne.

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