Marcus und Annilio - Kapitel 10

Seeon-Seebruck

Ein schöner Markttag

Es geht schon auf Mittag zu, als Marcus und Annilio die Brücke über die Alz erreichen. Auf der Straße stauen sich die Fuhrwerke, weil ein römischer Beamter die geladenen Güter prüft und Brückenzoll verlangt, ehe die Fuhrleute über die Brücke auf den Markt fahren dürfen. Annilio, Marcus und Acutus, der Knecht, der sie im Auftrag von Marcus‘ Vater begleitet, dürfen passieren, ohne zu zahlen. Bei Marktbesuchern drücken die Beamten, die die Brücke bewachen, meistens ein Auge zu. So viele Leute, es wird immer enger. Die Kinder wissen gar nicht, wo sie zuerst hinschauen sollen. Schließlich stellt Acutus ihre Pferde bei einem Gasthof unter. Links von ihnen ragt der Tempel über dem See auf. Im warmen Licht der Herbstsonne wirkt er wie von Gold übergossen.

Annilio zupft Marcus am Ärmel. „Schau Marcus, der Bedaius-Tempel ist aus dem gleichen weißen Stein wie das Grabmal, das wir vorhin gesehen haben. Und da, ein echter Bär!“ Ein Mann führt einen großen Bären mit Maulkorb an einer Kette durch die Menge. „Wo ist denn jetzt der Markt?“ Aufgeregt nimmt sie Marcus‘ Hand. „Wir dürfen uns nicht verlieren.“

Marcus ist verlegen, als er Annilios Hand in seiner spürt, lässt sich aber nichts anmerken. „Da vorne müssen wir hin.“ Er zeigt in eine Richtung. „Die Handwerker haben ihre Läden entlang der Straße. Dazwischen bauen die Händler, die zum Markt in den Ort kommen, ihre Stände auf.“

Die Kinder lassen sich im Strom der Menschen mittreiben. Es gibt so viel zu sehen! Haufen von ungefärbtem Leinen und bunt gewebten Wollstoffen, Berge von Amphoren mit Öl und Weinen, Schaffelle, glänzende Pelze, tönerne Öllampen. An einem Stand sehen sie keltische Glasarmreifen, an einem anderen Ledergürtel mit Metallbeschlägen. Lautstark preisen die Händler ihre Waren an. Ein Handwerker zeigt einer Gruppe von Frauen gerade verschiedene Fibeln. Hier werden Fische gegrillt, dort rührt eine dicke Frau in einem riesigen Kessel, der über einem Feuer aufgehängt ist. Ein Mann verkauft fettige Krapfen, die er auf einem Tablett durch die Menge trägt. Kleine Götterstatuen aus Ton, Werkzeuge aus Eisen, aus Knochen geschnitzte Dosen, polierte Metallspiegel – Annilio und Marcus kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Auf einmal fällt Marcus die das Geld ein, das er unter seiner Tunika verborgen in einem Lederbeutel trägt. Sein Vater hat ihm aufgetragen, für Annilio etwas Schönes zu kaufen. Marcus drückt die Hand von Annilio. „Du darfst dir etwas aussuchen. Mein Vater hat mir Geld für dich mitgegeben.“

Jetzt ist Annilio noch aufgeregter. Sie kann sich etwas aussuchen! Was soll sie nehmen? Es darf auf keinen Fall zu teuer sein, das wäre unhöflich. Vielleicht eine Fibel? Aber eigentlich hat sie genug Fibeln. Oder Stoff? Aber ihre Mutter webt selbst die schönsten Stoffe. Da entdeckt Annilio einen Stand mit Tonwaren. Dort gibt es kleine und große Schalen, mit und ohne Dekor, und Fläschchen mit Kork-Verschlüssen. Das ist es! Sie wird für ihre Mutter und für sich selbst ein paar Tongefäße aussuchen.

„Salve, ihr zwei, wir führen beste Töpferware aus Pons Aeni“, begrüßt sie die Marktfrau. „Sucht ihr etwas Bestimmtes? Wir haben verschiedene Qualitäten von sechs Töpfereien. Bei uns wird jeder fündig.“

„Oh, schau mal, die kleine Schüssel gefällt mir. Und da, der Krug. Oder die größere mit dem Muster. So ein Fläschchen ist auch praktisch. Oder …“ Annilio kann sich nicht entscheiden.

„Such‘ dir ruhig die schönsten Stücke aus“, ermuntert sie Marcus. „So schnell wirst du keine Töpferware aus Pons Aeni mehr kaufen können.“ Marcus holt seinen Lederbeutel heraus. „Hier, damit du deinen Einkauf auch bezahlen kannst.“

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„Gut, dann will ich diese kleine Schale, und die und …, au ja, die mit dem breiten Rand …“ Annilio drückt Marcus eine Schale nach der anderen in die Hand. „Oh, der Becher hat ein schönes Muster – und wie viele Schalen habe ich jetzt? Drei, dann brauche ich noch die zwei und … einen Krug für Tee. So, das ist alles.“

Marcus beugt sich zu Annilio und flüstert ihr ins Ohr: „Einen Denar darfst du ausgeben.“

„Was kosten die sieben Stücke?“ fragt Annilio die Marktfrau.

„Die Schalen jeweils ein As, der Becher und der Krug zwei As, das macht zusammen neun“, antwortet die Marktfrau.

„Hmmm“, überlegt Annilio. Die Marktfrau hat sicher etwas aufgeschlagen. „Ich zahle dir sieben As-Stücke und du gibst mir noch zwei von diesen kleinen Schälchen für Gewürze dazu.“

„Na gut“, der Marktfrau gefällt das freche Mädchen. „Abgemacht. Junger Mann, brauchst du etwas zum Tragen?“ Sie holt eine Holzkiste unter dem Stand hervor.

Marcus, der inzwischen einen ganzen Stapel von Tongefäßen balancieren muss, nickt dankbar. Vorsichtig packen sie Annilios Einkäufe zwischen Schichten von Schilfblättern.

Als sie wieder bei ihren Pferden ankommen, bindet Acutus, der Knecht, die Kiste mit Tongeschirr vor sich auf den Sattel und dann geht es heimwärts.

Marcus ist stolz auf seinen neuerworbenen Gürtel. Er hat es wie Annilio gemacht und einen Denar geboten, obwohl der Händler ein einhalb Denare verlangte. Schließlich hat der Händler ihm den mit Bronzenägeln beschlagenen Ledergürtel für einen Denar verkauft.

Die Kinder sind beide müde und zufrieden. Was für ein schöner Markttag!

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