Marcus und Annilio - Kapitel 1

Bernau

Baden auf römische Art

Ein paar Wochen später sehen sich die Kinder wieder. Annilios Vater will bei seinem römischen Handelspartner Maultiere für den Transport kaufen, denn die Ernte naht. Annilio gibt keine Ruhe, bis sie ihren Vater begleiten darf.

Während die Väter wieder einmal langatmige Verhandlungen führen, zeigt Marcus Annilio den Gutshof. Annilio kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. In dem römischen Gutshof am Hitzelsberg gibt es Gebäude, wo nur Tiere wohnen. In den Ställen stehen Rinder, Maultiere und sogar zwei Pferde. Es gibt ein Wohngebäude für die Familie von Marcus und eines für die Familie des Verwalters. Daneben stehen Wirtschaftsgebäude und ein Badehaus.

Das Badehaus interessiert Annilio am meisten. Sie kann sich nicht vorstellen, dass man ein eigenes Haus nur zum Baden braucht. Bei ihnen gehe man in den Bach zum Waschen, erklärt sie Marcus. „Und außerdem ist der große See ganz in der Nähe. Es macht großen Spaß, im See zu schwimmen! Wenn mein Bruder mitkommt, darf ich immer schwimmen gehen.“ Ihre Leute wohnten gerne neben einem Fluss oder einem See, erklärt sie Marcus, „so haben wir Wasser zum Fischen und zum Baden und müssen kein Haus dafür bauen”.

„Komm mal mit“, sagt Marcus und führt sie quer über den Hof zu einem kleinen Gebäude. „Ich habe Mama gebeten, das Badehaus extra für dich anheizen zu lassen. Du wirst staunen! Schau, da unten wird Feuer gemacht”, Marcus zeigt auf eine kleine Treppe neben dem Badehaus. „In dem großen Ofen werden jede Menge dicke Buchenscheite verbrannt, damit heiße Luft nach oben steigt und das Wasser und die Räume erwärmt. Warte mal ab, wie schön warm wir es oben im Bad haben, das ist was ganz anderes als dein See.”

Als er die Tür öffnet, duftet es nach Kräutern, und leichter Dampf zieht aus der Tür. „So”, sagt Marcus, „als erstes müssen wir unsere Füße waschen und uns umziehen, bevor wir weitergehen. Hier ist der Umkleideraum oder wie wir sagen, das Apodyterium.“ In dem Raum wartet bereits eine Dienerin mit gestreiften Tüchern über dem Arm auf die Kinder. Sie schickt Marcus hinaus und zeigt Annilio, wie sie sich ein Tuch eng um den Körper binden und ein zweites darüber wickeln kann. Dann nickt sie zufrieden und ruft Marcus wieder herein. „Eigentlich baden bei uns Männer und Frauen getrennt, aber wir Kinder dürfen miteinander ins Bad. Außerdem war Mama einverstanden, weil dein Vater das Sippenoberhaupt ist und weil Tulia auf uns aufpasst“ flüstert Marcus und öffnet eine weitere Tür. „Komm”, ruft er Annilio zu. Hinter der Tür liegt ein Raum mit einem kleinen flachen Becken.

Annilio teste die Wassertemperatur im Becken vorsichtig mit dem großen Zeh. „Uh”, ruft sie, „das ist aber kalt!”

„Ja”, grinst Marcus, „das ist ja auch das Frigidarium, da ist kaltes Wasser drin.” Über eine Treppe steigen sie hinein, bis ihnen das Wasser an die Oberschenkel reicht: ein bisschen unangenehm am Anfang, aber auch erfrischend, schließlich ist es draußen warm. Am Beckenrand liegt ein Holzlöffel. Marcus erklärt, dass sein Vater und Großvater sich damit immer kaltes Wasser über Kopf, Rücken und Brust laufen lassen. „Zur Abhärtung“ sagt Marcus, taucht den Löffel ins Wasser ein und gießt es sich über den Kopf. Annilio ist schwer beeindruckt von dem römischen Jungen und vergisst kurzzeitig, dass ihr Vater und ihr großer Bruder Ario sich sogar im Winter im Bach mit eiskaltem Wasser waschen. „Das reicht”, fröstelt Marcus, „jetzt gehen wir weiter in den nächsten Raum, du wirst staunen!” Er öffnet eine dicke Holztür. „Das ist unser Caldarium”, sagte Marcus stolz. Die Kinder betreten einen Raum mit farbigen Fischen an den Wänden. In der Mitte liegt ein großes Becken, in das von allen vier Seiten Treppen führen.

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Annilio streckt wieder den großen Zeh in das Becken. „Uh”, ruft sie, „echt warm!” So etwas hat sie noch nie gesehen, einen künstlichen warmen Teich!

Als die Kinder vom Plantschen in dem warmen Wasser müde werden, setzen sie sich auf eine der Bänke, die an den Wänden stehen. Aus dem Becken steigt Dampf auf, der wunderbar nach Kräutern riecht, findet Annilio. „Von dem Dampf wird mir ganz schwitzig“, sagt sie zu Marcus.

„Schwitzen gehört bei uns zur Reinigung dazu“, erklärt ihr der Junge. „Die Erwachsenen lassen sich auch noch mit Öl einreiben und mit einem Spatel abstreifen.“ Annilio ist ein bisschen schwindlig vor lauter Wärme und Wohlgefühl und sie mag zunächst Marcus gar nicht folgen, als er zu der Tür am anderen Ende des Raumes geht. „Komm, jetzt wird es wieder etwas kühler”, sagt Marcus und öffnet die Tür. „Das ist das Tepidarium, der letzte Raum, hier kannst du dich entspannen.“

„Mmm, das ist angenehm hier”, seufzt Annilio. Sie setzt sich auf die eine Bank, Marcus auf die zweite. Annilio räkelt sich, „hier könnte ich ewig bleiben”. Es duftet nach Lavendel.

„Kinder, nun ist es genug!“ ermahnt sie die Dienerin nach einer Weile. Die Kinder waschen sich das Gesicht und die Arme in der Wasserschale, die in der Raummitte auf einem Sockel steht. Marcus verschwindet. Die Dienerin hilft Annilio, die Tücher aufzuknoten. Dann schlüpft Annilio wieder in ihre eigene Kleidung, die sich ein bisschen rau anfühlt nach den weichen Tüchern. Sie reißt sich nur widerwillig von dem herrlichen Badehaus los.

„Mal sehen, ob unsere Väter endlich fertig sind mit ihren Geschäften“, sagt Marcus zu Annilio, als sie aus dem Badehaus kommen und zwinkert ihr zu.

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